Was bringt Kooperation? Sind wir alleine nicht flexibler und unabhängiger? Möglicherweise. Aber eben auch kaum mehr in der Lage oder schnell genug, die komplexen Herausforderungen der modernen Wirtschaft zu lösen. Die Pluspunkte der Zusammenarbeit liegen auf der Hand: Gemeinsam können wir Synergien nutzen, Ressourcen schonen, Expertenwissen vernetzen und so weiterkommen als alleine. Gemeinsam sind wir schnell, intelligent und innovativ – also einfach stärker.
„Die Zukunft ist nicht ein Ort, an den wir gehen, sondern ein Ort, den wir gestalten. Die Wege dorthin werden nicht gefunden, sondern geschaffen.“ John Schaar
Wie wäre das, mit dem härtesten Wettbewerber zusammenzuarbeiten? Undenkbar? Oder einen Gedanken wert? Mercedes Benz und BMW haben sich offensichtlich für zweiteres entschieden. Nachdem im Geheimen lange miteinander gesprochen und verhandelt wurde, überraschten die Unternehmen im März dieses Jahres mit der Meldung, dass die Bündelung ihrer Mobilitätsdienste in fünf gemeinsame Firmen nur der Beginn einer weitreichenden Kooperation im Bereich autonomes Fahren und E-Mobilität ist. Der Grund ist leicht nachvollziehbar.
Die Automobilindustrie steckt in einer grundlegenden Transformation: Technische Herausforderungen, harte Marktbedingungen, völlig neue Produkte und Services jenseits vom einfachen Autoverkauf, fordern hohe Investitionen und außerordentliche Innovationskraft. Alleine wären beide Unternehmen langsamer und könnten die Entwicklungskosten schwer oder gar nicht stemmen. Und doch reagierte nicht nur die Presse einigermaßen überrascht. „Rivalen planen weitreichende Kooperation“ war da zu lesen. Die Tageszeitung Welt schrieb sogar: „Die Kooperation markiert einen epochalen Wandel“. Unser Weltbild kommt ins Wanken. Was ist da los, wenn jetzt schon Konkurrenten zusammenarbeiten? Schwächeln die Unternehmen etwa? Ganz im Gegenteil: Kooperieren ist stark und intelligent. Die Zusammenarbeit dieser beiden großen deutschen Automarken ist nur eines von vielen Beispielen, die den unvermeidbaren wirtschaftlichen Paradigmenwandel illustrieren.
Was Hochsprung mit unserer Arbeitswelt zu tun hat
Ein Paradigmenwechsel, den wahrscheinlich nicht alle von uns miterlebt haben, passierte 1968. Dick Fosbury revolutioniert den Hochsprung. Er springt mit dem Rücken zur Latte – wie noch keiner vor ihm. Als er mit diesem Stil bei den Olympischen Spielen in Mexiko antritt, lacht die Konkurrenz über diesen gewöhnungsbedürftigen Bewegungsablauf. Um dann zu erleben, wie sich Fosbury die Goldmedaille holt. In den folgenden 22 Jahren klettert der Weltrekord um 16 Zentimeter auf 2,45 Meter. Der Rekordhalter Javier Sotomayor aus Kuba überspringt mit dieser Technik seine eigene Körperhöhe (1,93 m) sogar um 52 Zentimeter. Würde heute jemand mit der alten Technik, dem Scherensprung oder dem Bauchwälzer zum Wettkampf antreten, wäre er derjenige, über den gelacht wird.
Mehr vom selben oder doch mal etwas ganz anderes?
Die Erwartungen der Kunden befriedigen, am Markt dauerhaft erfolgreich sein – so sehr wir uns anstrengen, scheint es doch oft so, als wären wir nicht schnell, innovativ oder leistungsfähig genug. Wie gehen wir damit um? Mehr anstrengen? Härter arbeiten? Mehr pushen – uns selbst und andere? Dick Fosbury ging es genauso. Trotz hohem Trainingsaufwand kam er mit den vorhandenen Techniken nicht weiter. Anstatt mehr vom selben zu tun, wagte er etwas Neues. Und machte damit auch dann weiter, als er bemerkte, dass seine Umwelt ihn belächelte. Der Erfolg gab ihm Recht.
Das Kooperationspotenzial vielfältig nutzen
Wer in der heutigen schnellen und vernetzten Welt erfolgreich sein will, muss – wie Dick Fosbury – umdenken und umlernen. Was lange Zeit galt, hat keinen Bestand mehr. Galt früher das Motto, so viel Konkurrenz wie möglich und so wenig Kooperation wie nötig, heißt es jetzt: So viel Kooperation wie möglich und so wenig Konkurrenz wie nötig. Kleine und große Unternehmen haben viele Möglichkeiten, ihr Kooperationspotenzial sinnvoll und erfolgsstiftend zu nutzen.
Kooperation mit andersartigen Unternehmen
Die Firma Heinz verarbeitet Tomaten zu Ketchup. Um es genauer zu sagen: Zwei Millionen Tonnen Tomaten werden jährlich zu Ketchup verarbeitet. Was dabei übrig bleibt, sind Haut und Stiele, die entsorgt werden müssen. Auf der anderen Seite gibt es die Firma Ford, die schon seit vielen Jahren zu pflanzenbasierten Kunststoffen forscht. Die Grundlage einer für beide Seiten nützlichen Kooperation: Heinz spart sich Entsorgungskosten und Ford erhält Material für die weitere Forschung. Idealerweise kommt das Wissen von Ford wieder zurück zu Heinz, die ihre Plastikflaschen nachhaltiger herstellen können. „Gehen uns dadurch nicht Kunden verloren?“
Die Frage, die uns oft hemmt zu kooperieren, stellt sich hier nicht. Die beiden Unternehmen kommen sich markttechnisch nicht in die Quere. Wie auch im Kiezkaufhaus, einem gemeinsamen Onlineshop der lokalen Hersteller und Einzelhändler in Wiesbaden: Kleine Unternehmen vor Ort kooperieren, um Kunden einen besseren Service zu bieten und sie dafür zu gewinnen, regional einzukaufen. Die Kunden können alles unter einem Dach bestellen und bekommen die Ware noch am selben Tag per Fahrradkurier in Pfandtaschen geliefert.
Kooperation mit gleichartigen Unternehmen und regionaler Distanz
Eine Fitnesskette mit Studios überwiegend in Norddeutschland kooperiert mit einer Fitnesskette in Süddeutschland. Die Mitglieder dürfen zukünftig in allen Studios trainieren, so dass sie auch fit bleiben können, wenn sie auf Reisen sind. Beide Unternehmen bieten ihren Kunden einen größeren Nutzen, müssen sich aber auch keine Sorge machen, Kunden an das andere Unternehmen zu verlieren.
Kooperation – sogar mit dem Wettbewerber
Im Allgäu haben Bäcker den Verein „Allgäuer Bäcker“ gegründet, um gemeinsame Standards zu setzen und gemeinsam Marketing zu betreiben. Spannend und ungewöhnlich: Die Initiative ging vom größten Bäckereiunternehmen in der Region aus. „Gemeinsam besser“ ist eine Einkaufsgemeinschaft von Gastro- und Hotelunternehmen. Alles begann damit, dass einige Unternehmen ihre Einkaufskonditionen offengelegt haben. Inzwischen wird der größte Nutzen aber damit beschrieben, dass die Beteiligten ihre Erfahrungen austauschen.
Genau das können beispielsweise auch Verbände leisten. Sie bieten den Rahmen, in dem Selbständige und Unternehmer Wissen teilen und gemeinsam besser werden können. Nur offensichtlich wird das nicht so intensiv genutzt, wie es möglich wäre. Viele Verbände berichten, dass gerade die Erfahrungsaustauschgruppen wenig angenommen werden. Bei den Tagungen wird zwar den Referenten gelauscht, der Austausch zwischen den Teilnehmern kommt dagegen häufig zu kurz. Statt nur klassisch auf Vorträge zu setzen, können hier partizipative Formate Abhilfe schaffen, bei denen die Teilnehmer aktiv miteinander zu brennenden Themen ins Gespräch gebracht werden.
Die vier Ko-Intelligenz-Treiber
Wer sich dem Paradigmenwandel stellt, wird es sich selbst zur Aufgabe machen, den Austausch und die Kooperation aktiv zu suchen. Wie das gelingt? Indem wir ko-intelligenter werden, das heißt, die Fähigkeiten nutzen, die es uns erlauben, erfolgreich zu kooperieren, zu kollaborieren und zu kokreieren. Und das auch gerade dann, wenn es schwierig wird oder wir unter Druck stehen. Dafür gibt es vier Ko-Intelligenz-Treiber:
Gemeinsamkeit
Indem wir den Fokus immer wieder darauf lenken, dass wir gemeinsam weiterkommen als alleine. Verbunden mit der Bereitschaft, auch mal auf einen schnellen, individuellen Gewinn zu verzichten, um langfristig gemeinsam mehr zu gewinnen.
Wertschätzung
Positiv anerkennen, dass wir von anderen Expertisen, Vorgehensweisen und Unternehmenskulturen profitieren können. Wohlwissend, dass es immer wieder eine neue Herausforderung ist, mit Andersartigkeit umzugehen.
Vertrauen
Das Zauberwort heißt Vorschussvertrauen. Nur wenn wir davon ausgehen, dass die anderen Beteiligten sich selbstverständlich auch kooperationsfördernd verhalten werden, sind wir bereit, alles zu geben. Nur dann kann aus eins und eins drei oder noch viel mehr werden.
Offenheit
Innovation findet nicht im Elfenbeinturm des Experten statt. Sie entsteht, wenn verschiedene Disziplinen zusammenkommen und Wissen geteilt wird. Neben dem Dialog fördern neue Methoden wie Design Thinking diesen Prozess aktiv.
Was hält uns also davon ab, zu kooperieren?
Neben dem tief verinnerlichten Wettbewerbsprinzip halten uns drei b-Faktoren davon ab, aktiv zu kooperieren.
Zu bequem. „Wir machen unsere Sachen schon immer so, wie es für uns richtig ist. Kommt jemand anderes dazu, müssten wir uns auf dessen Art und Weise, einen völlig neuen Weg einstellen. Das birgt ja auch ein Risiko, oder?“
Zu beschäftigt. „Kooperieren? Klar wäre das super, aber uns steht die Arbeit eh bis hier oben. Wir machen das, wenn wir mal Zeit haben.“
Zu blauäugig. „Das ist sicher nur so eine Welle. Die geht auch wieder vorbei. Das Konkurrenzdenken hat uns bis hierhergebracht – und wird uns sicher auch weitertragen.“
Nein gerade nicht! Jetzt gilt es, andere Wege zu gehen und die neue Technik der Kooperation zu lernen. Wie es auch der Hochspringer Dick Fosbury getan hat, um ganz vorne dabei zu sein.
Weitere konkrete Tipps für konkurrenzlos erfolgreiche Zusammenarbeit gibt es in den WIRtschaftswelten von Ulrike Stahl unter https://www.ulrike-stahl.com/wirtschaftswelten/
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder