Stuttgart (dts Nachrichtenagentur) – Die Filbinger-Rede des früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger (CDU) hat seinerzeit eine Flut antidemokratischer und antisemitischer Zuschriften ausgelöst. Das geht aus einer Auswertung bislang öffentlich nicht zugänglicher Archivmaterialien hervor, wie „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS) und „Südwest Presse“ (SWP) schreiben.
Demnach war der Zuspruch für die im April 2007 gehaltene und historisch fragwürdige Rede ausgesprochen positiv. Oettinger hatte den früheren Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU) als NS-Gegner bezeichnet, obwohl er von der historischen Forschung nahezu übereinstimmend als Mitläufer eingestuft wird. Filbinger hatte schon 1933 einen NSDAP-Mitgliedsantrag gestellt. Nach der Rede wurden Rücktrittsforderungen gegen Oettinger laut.
Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte eine Entschuldigung. Die Landesregierung erhielt anschließend mehr als 900 Zuschriften, viele Briefeschreiber witterten hinter den Rücktrittsforderungen eine jüdische Verschwörung und die Macht einer vermeintlichen „linken Meinungsdiktatur“. Einhellig in den Zuschriften ist auch die Ablehnung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei den Bürgern in den westlichen Bundesländern. Auch aufgrund der zahlreichen positiven Zuschriften hatte Oettinger seine Formulierung erst einige Tage nach der Trauerfeier zurückgenommen und sich beim Zentralrat der Juden in Deutschland entschuldigt.
Viele Schreiben kennzeichnete eine Mischung aus Medienverachtung, Merkel-Hass, Zweifel an der Souveränität Deutschlands, Angst vor Überfremdung, Antisemitismus sowie dem Anspruch, für eine schweigende Mehrheit zu sprechen. Ein bayerischer Bürger schrieb zum Beispiel an Oettinger: „Von der Krankheit des Zeitgeistes angegriffen, meinen Sie, den Verstorbenen nur dann ehren zu können, wenn Sie ihn zum NS-Gegner oder gar zum Widerstandskämpfer nachträglich erklären. Wussten Sie denn nicht, dass ein anständiger Nationalsozialist einem verlogenen sogenannten Demokraten moralisch turmhoch überlegen ist?“ Und ein Pfarrer aus Stuttgart schrieb: „Ich kann Sie nur bitten: Landgraf bleibe hart. Und nach allem, was ich in meiner Umgebung höre, denken noch viele so. Wir jedenfalls denken jeden Morgen in unserer Morgenandacht an Sie und Ihre Familie“.
Ein Bürger aus Nordrhein-Westfalen schrieb: „Meine Frage ist, wie kommen Sie dazu, sich wie König Heinrich IV es im Jahr 1077 in Canossa tat, nach Frankfurt zu begeben, um beim Zentralrat um Vergebung zu flehen?“ Oettinger, der in diesem Herbst 70 Jahre alt wird, brauchte lange, um sich von diesem Fehler zu erholen. 2010 wechselte er als EU-Kommissar nach Brüssel.
Foto: Günther Oettinger, über dts Nachrichtenagentur
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