Innovationen sind der Umsatz von übermorgen. Ein Unternehmen muss frühzeitig beginnen, sie zu entwickeln, um sie startklar in der Pipeline zu haben, wenn die alten Lösungen es nicht mehr bringen. Grundvoraussetzung dafür ist eine Kultur, die Neudenkern Spielräume gibt und ihre Ideen willkommen heißt.
Die wichtigste Aufgabe eines Unternehmens, das den Sprung in die Zukunft schaffen will, ist die, vielversprechende Flugversuche ihrer Neudenker, Innovatoren und Übermorgengestalter nicht zu verhindern. Ein Vogel kann nur zeigen, wie hoch und wie weit er fliegt, wenn man ihn aus seinem Käfig entlässt.
Neuerungen können insofern nur dort entstehen, wo es den passenden Nährboden gibt:
die Erlaubnis zum Widerspruch,
ein freizügiges Teilen guter Ideen,
eine ergebnisoffene Lernkultur und
Freiräume zum Experimentieren.
Jeder Mitarbeitende, ganz egal, auf welcher Ebene und in welchem Bereich, kann auf diese Weise Ideen einbringen, die den entscheidenden Unterschied machen. Das gilt ganz besonders für Neuankömmlinge, weil diese noch nicht betriebsblind sind.
Den unverstellten Blick der „Neuen“ nutzen
Leider sind gar nicht selten gerade die hochengagierten Top-Talente oft bereits nach den ersten Arbeitstagen derart frustriert von dem, was sie gleich anfangs erleben, dass sie das Unternehmen am liebsten sofort wieder verlassen. Solche Frühfluktuation muss unbedingt eingedämmt werden, da sie erhebliche Kosten verursacht.
Doch die Oberen bekommen die wahren Gründe für das frühe Ausscheiden der „Neuen“ meist gar nicht mit. Für sie ist es völlig normal, diese zunächst „einzunorden“, indem man sie vor allem mit den im Unternehmen üblichen „richtigen“ Verhaltensweisen vertraut macht, statt ihre noch unverstellten Blickweisen zu nutzen.
Daraus ergibt sich am Ende der Probezeit dann folgende typische Frage: „Haben Sie sich gut eingelebt?“
Wie wäre es stattdessen mit folgender Frage: „Was konnten Sie denn bislang schon zum Besseren ändern?“
Auf diese Weise stellt man auch sehr schnell fest, ob neue Ideen willkommen waren.
So profitieren Sie vom Neueinsteiger-Effekt
Natürlich braucht es für Neuankömmlinge einen Integrationsprozess, doch gerade am Anfang auch bereits Spielraum, um Eigeninitiative zu zeigen. Neue Mitarbeitende sollten sogar intensiv ermutigt werden, ihren noch unverstellten Blick konstruktiv einzusetzen. Was diese stattdessen meist lernen: bloß nicht anecken, in keine Tretminen stolpern, die geltenden Verhaltensregeln beachten, damit man die Probezeit übersteht.
So fädeln sich die meisten „Neuen“ unreflektiert in die vorgefundene mehr oder weniger stark ritualisierte Betriebskultur ein. Um stattdessen den Neueinsteiger-Effekt zu nutzen, könnte man es zur Bedingung machen, dass ein Mitarbeiter, der die Probezeit bestehen will, in den ersten sechs Monaten eine eigene Initiative beziehungsweise einen Verbesserungsvorstoß gestartet haben muss, der idealerweise schon Erfolge zeigt.
Vorsprung entsteht durch Andersmachen
Leider geht nach der Probezeit die Anpasserei oft erst so richtig los. Im Rahmen einer standardisierten Personalentwicklung werden den Mitarbeitenden Trainings verordnet und Weiterbildungsprogramme übergestülpt, die sie auf feste Aufgaben und vorgezeichnete Karrierewege vorbereiten. Doch das antiquierte Karriereverständnis vom hierarchischen Aufstieg, bei dem man andere „unter sich hat“, ist längst passé.
Weil zudem Kenntnisse immer schneller veralten, braucht es individualisiertes Just-in-time-Wissen. Genormtes Vorratslernen hingegen schafft Klone, die ähnlich denken, ähnlich ticken und ähnlich handeln. Zu Zeiten der industriellen Massenproduktion war solche „homosoziale Reproduktion“ vielleicht richtig. Doch Vorsprung entsteht nicht durch mehr vom Gleichen, sondern durch Andersmachen und Innovation.
Das Phänomen der homosozialen Reproduktion
Auch bei Beförderungen finden wir das Phänomen der homosozialen Reproduktion. Außenseiter kommen nur selten zum Zug. Führungskräfte unterstützen vor allem den Nachwuchs „vom gleichen Schlag“, das ist durch zahlreiche Untersuchungen belegt. Von Ähnlichkeit fühlen wir uns angezogen, weil wir uns darin wiedererkennen. So sorgt Ähnlichkeit für Vertrautheit – und bestätigt uns in unseren Werten. Gemeinsamkeiten schaffen ein Band der Verbundenheit. Das Fremde hingegen stellt eine potenzielle Bedrohung dar, wodurch es auf Ablehnung stößt oder eine Abwehrhaltung erzeugt.
Wie treffend sprechen wir bei Menschen, die wir nicht kennen, von „Wildfremden“. Hingegen sorgen schon geringfügige Übereinstimmungen für Hinwendung und Sympathie. Die Abwehr von Unbekanntem ist zwar natürlich, doch eben auch gefährlich, weil es den Konformismus begünstigt und damit Stillstand bewirkt. Denn Konformismus favorisiert die Regel, das Übliche, das, was alle machen – und nicht die Ausnahme, die Varianz und das nützliche Neue, das Fortschritt bringt.
Sind Neudenker in der Firma willkommen?
Selbst das berühmt-berüchtigte Bauchgefühl im Mitarbeiterauswahlprozess, auf das sich viele so gern berufen, gehört auf den Prüfstand. Es nährt sich aus Intuition. Intuition ist eine Art Wissensvorsprung, der aus dem Erfahrungsschatz der Vergangenheit schöpft. Hieraus entspringen Routinen, die missachten, dass Vergangenheit und Zukunft sehr verschieden sein können. So ist auch bei Algorithmen, die das Recruiting immer mehr unterstützen, Vorsicht geboten, weil sie mit Vergangenheitsdaten gefüttert werden.
Abschließend stellen sich insgesamt folgende Fragen:
Wie bereit ist unsere Firma wirklich, wenn ein Neudenker andockt?
Wie gehen wir mit Neudenkern und Zukunftsgestaltern tatsächlich um?
Welche Rahmenbedingungen müssen wir schaffen/verändern/adjustieren, damit interne Neudenker ins Wirken kommen, um uns fit für die Zukunft zu machen?
Bevor Sie nach Neudenkern Ausschau halten und sich hinterher lächerlich machen, weil die firmeninterne Realität eine ganz andere ist, hier gleich noch ein Tipp: Machen Sie zunächst eine anonyme interne Kurzumfrage, um festzustellen, ob Neudenker bei Ihnen tatsächlich willkommen sind und welche erlebten Geschichten es dazu gibt. Sie werden sich wahrscheinlich wundern, was Sie so alles zu hören bekommen.
Buch
Anne M. Schüller
Zukunft meistern
Das Trend- und Toolbook für Übermorgengestalter
Gabal Verlag 2024, 232 S., 29,90 €
Autor: Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenzentrierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. 2024 wurde sie als Unternehmerin der Zukunft ausgezeichnet. www.anneschueller.de
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